2%

1 - Klassifizierung

Im November 2021 wurde berichtet, dass Israel in den letzten zwei Jahren seine Überwachung der Palästinenser im Westjordanland mit einer «umfassenden Überwachungsmassnahme» verstärkt hat, die unter anderem den Einsatz einer Gesichtserkennungstechnologie namens «Blue Wolf» umfasst. Soldaten wurden ermutigt, Fotos von Palästinensern, einschliesslich Kindern und älteren Menschen, für die Datenbank aufzunehmen, wobei Einheiten, die die meisten Daten sammelten, belohnt wurden.

Es wurde ausserdem berichtet, dass die israelische Armee in Hebron, der grössten Stadt im besetzten Westjordanland, Gesichtserkennungskameras installiert hat, um Palästinenser zu identifizieren, bevor sie ihre Ausweise an Kontrollpunkten vorzeigen. Auch in der Altstadt des besetzten Ostjerusalem hat Israel ein umfangreiches Netzwerk von Kameras mit Gesichtserkennungssystem installiert.1

2 - Symbolisierung

Alle Palästinenser in den besetzten Gebieten müssen von Israel ausgestellte, farbcodierte Ausweise besitzen. Palästinenser im Westjordanland und Gaza haben grüne Ausweise, während Palästinenser in Ostjerusalem blaue Ausweise haben. Palästinenser mit grünen Ausweisen dürfen Jerusalem oder andere Teile des historischen Palästinas innerhalb der international anerkannten Grenzen Israels vor 1967 ohne spezielle Erlaubnis nicht betreten. Alle Palästinenser in den besetzten Gebieten benötigen zudem die Erlaubnis Israels, um ins Ausland zu reisen.1

3 - Diskriminierung

Etwa 2,5 Millionen Palästinenser leben im von Israel besetzten Westjordanland und 350’000 im von Israel besetzten Ostjerusalem. Etwa 2,1 Millionen Palästinenser leben im Gazastreifen, den die Vereinten Nationen ebenfalls als von Israel besetzt betrachten.

Israel besetzte diese Gebiete im Nahostkrieg von 1967, und zog sich 2005 aus Gaza zurück, kontrolliert jedoch weiterhin den Grossteil der Grenzen, sowie den Luftraum und die Küstengewässer.

In den vergangenen 54 Jahren haben die israelischen Behörden die Umsiedlung jüdischer Israelis in die besetzten palästinensischen Gebiete erleichtert und ihnen einen rechtlich überlegenen Status im Vergleich zu den dort lebenden Palästinensern gewährt, insbesondere in Bezug auf Bürgerrechte, Landzugang sowie Bewegungsfreiheit, Bauvorhaben und das Recht, Aufenthaltsgenehmigungen an nahe Verwandte zu übertragen. Die meisten Mitglieder der internationalen Gemeinschaft betrachten diese Siedlungen als illegal nach internationalem Recht, obwohl Israel dem widerspricht.2

Seit 2007 hat Israel eine Belagerung und Seeblockade über Gaza verhängt, die von den Vereinten Nationen und Menschenrechtsgruppen als kollektive Bestrafung der gesamten Bevölkerung und als illegal verurteilt wurde. Unter der Belagerung ist es für Palästinenser nahezu unmöglich, das winzige, verarmte Gaza zu verlassen, selbst um ins Westjordanland oder nach Jerusalem zu reisen, um zu studieren, zu arbeiten, Familien zu besuchen oder lebensrettende medizinische Behandlungen zu erhalten. Das israelische Militär hindert auch die Fischer in Gaza daran, weit von der Küste entfernt zu fischen, wodurch ihnen der Zugang zu den ertragreichsten Gewässern verwehrt wird.1

Die Grenze zum Gazastreifen wird unter Anderem mit ferngesteuerten Maschinengewehren überwacht.

4 - Entmenschlichung

Wir verhängen eine vollständige Belagerung über Gaza. Es wird keinen Strom, kein Essen, kein Wasser geben, keinen Treibstoff, alles wird geschlossen sein. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln dementsprechend.3 Yoav Gallant, israelischer Verteidigungsmister

5 - Organisation

Die hohe Zahl der zivilen Opfer im Krieg und das Ausmass der Zerstörung sind Konsequenzen der Dahiyeh-Doktrin welche das israelische Militär verfolgt. Die Dahiya-Doktrin ist eine israelische Militärdoktrin, die den Einsatz massiver, unverhältnismässiger Gewalt und das gezielte Angreifen von Zivilisten und ziviler Infrastruktur fordert.

Die Doktrin ist nach dem Vorort Dahiya in Beirut benannt, wo die libanesische paramilitärische Gruppe Hisbollah ihren Hauptsitz hat, der während des Angriffs der israelischen Armee auf den Libanon im Sommer 2006 dem Erdboden gleichgemacht wurde. Bei diesem Angriff kamen nahezu 1’000 Zivilisten ums Leben, etwa ein Drittel von ihnen Kinder, und es wurden enorme Schäden an der zivilen Infrastruktur des Landes verursacht, darunter an Kraftwerken, Kläranlagen, Brücken und Hafenanlagen.

Wir werden unverhältnismässige Gewalt gegen jedes Dorf anwenden, aus dem Schüsse auf Israel abgefeuert werden, und immense Schäden und Zerstörungen verursachen. Aus unserer Sicht sind das militärische Basen.4 Gadi Eisenkot, Kommandeur der israelischen Armee

Gepanzerte Bulldozer werden von der israelischen Armee eingesetzt, um Infrastruktur zu zerstören.

6 - Polarisierung

Seit Jahrzehnten hat Netanyahu die israelische Propagandadoktrin Hasbara vorangetrieben – die Idee, dass Israelis aggressiv ihre Aktionen im Westen rechtfertigen müssen, um sowohl Gegner als auch Verbündete zu manipulieren und seine Ziele zu verfolgen.

Nach den Angriffen am 7. Oktober stellte Netanyahu die Belagerung Gazas als einen existenziellen Krieg dar. Die israelische Regierung setzte eine vielschichtige Propagandastrategie ein, um Unterstützung für einen umfassenden Krieg gegen die gesamte Bevölkerung Gazas zu gewinnen. Kritiker des Krieges werden als antisemitisch betrachtet, und das Infragestellen von Israels Behauptungen zu den Ereignissen wird mit Holocaust-Leugnung verglichen.

Netanyahu sprach von grausamen Taten, die an Kindern verübt worden seien. Berichte von israelischen Soldaten und Rettungsorganisationen über Gräueltaten, wie das Hängen von Kindern an Wäscheleinen oder das Enthaupten von Babys, entpuppten sich als völlig erfunden.5

7 - Vorbereitung

So wie das Mähen des eigenen Vorgartens [sind die Militäroperationen im Gaza] ständige, harte Arbeit. Wenn man es nicht tut, wachsen Unkräuter wild und Schlangen beginnen, im Gebüsch umherzuschlängeln. Ebenso erfordert die Reduzierung der Fähigkeiten und Ambitionen des Feindes im Gazastreifen die militärische Bereitschaft Israels und die Willigkeit der Regierung, vorbereitend Gewalt anzuwenden, während die israelische Heimatfront trotz wiederholter militärischer Offensiven gesund und widerstandsfähig bleibt. Die Frage ist, ob Israel während der Operation Protective Edge im Jahr 2014 genug Gewalt angewendet hat und dem Feind genug Schmerz zugefügt hat, um eine ausreichend grosse Zeitspanne als Ruhepause zu gewinnen, bevor die nächste Runde des «Gras-Mähens» beginnt, die heute [Mai 2021] ist. Die Frage ist, ob das Kabinett diesmal ausreichend Gewalt autorisieren wird, um die Hamas für einen noch längeren Zeitraum zu zerschlagen und abzuschrecken. Ein Unentschieden mit der Hamas ist strategisch unzufriedenstellend.6 David M. Weinberg, Institut für Nationale Sicherheit in Israel

In dieser Militäroperation im Mai 2021 wurden 248 Palästinenser getötet, darunter 66 Kinder. Über 1’900 weitere Paläsetinenser wurden verletzt.

8 - Verfolgung

Am 12. Oktober 2023, nach dem Terroranschlag der Hamas, wurde von der israelischen Armee ein Evakuierungsbefehl im Norden Gazas ausgerufen, der Hunderttausende von Menschen zwang, nach Süden zu fliehen, um Sicherheit zu suchen. Die restlichen Menschen, die im Norden Gazas blieben, wurden weitgehend von dem Rest des Gazastreifens durch eine befestigte israelische Militärzone abgeschnitten. Im Dezember 2023 berichteten die führenden Experten der Welt über Hungersnöte, dass Hunger dort besonders weit verbreitet und schwerwiegend war, dennoch behinderten und verweigerten die israelischen Behörden wiederholt humanitären Zugang zu diesem Gebiet.7

Im September 2024 wurde dem israelischen Kabinett ein Plan präsentiert mit dem Ziel, alle palästinensischen Zivilisten aus dem nördlichen Gaza, einschliesslich Gaza-Stadt, unter Zwang zu vertreiben, um Hamas zu belagern und die Freilassung von Geiseln zu erzwingen.

Es ist unklar, wie viele Palästinenser nördlich des sogenannten Netzarim-Korridors verbleiben, der Gaza in zwei Hälften teilt, aber die Schätzungen gehen in die Hunderttausende. Der Plan erwähnt nicht, ob, wann oder wie Zivilisten zurückkehren dürfen.8

Die neuesten «Evakuierungs»-Befehle, die das israelische Militär am 7., 10. und 12. Oktober an Städte und Lager im nördlichen Gaza erteilt hat, sowie die verschärfte Belagerung des Gebiets stellen eine erschreckende Eskalation der langen Liste von Gräueltaten dar, die den Menschen in diesem Gebiet zugefügt wurden.

Das israelische Militär hat seine Bemühungen verstärkt, die gesamte Zivilbevölkerung im Gebiet nördlich des Wadi Gaza gewaltsam nach Süden zu vertreiben, beginnend mit dem Gazagouvernement Nord, und zwingt die Zivilisten, zwischen Hunger und Vertreibung zu wählen, während ihre Häuser und Strassen unaufhörlich von Bomben und Granaten getroffen werden.7 Heba Morayef, Regionaldirektorin Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International

9 - Vernichtung

Seit dem Start der Militäroperation im Gaza wurden 42’000 Palästinenser getötet, das sind rund 2% der Gesamtbevölkerung im Gaza.9 70% der Toten sind Frauen oder Kinder.10. Universitäten, Schulen, Museen und Moscheen werden systematisch zerstört.9

Die WHO berichtet von über 890 Angriffen auf Gesundheitseinrichtungen. 31 von 36 Spitäler wurden beschädigt oder vollständig zerstört. Die restlichen Spitäler unterliegen extermen Engpässen.

Das Al-Shaifa Spital, der grösste medizinische Komplex in Gaza, wurde am 18 Mätz 2024 gestürmt unter dem Vorwand, dass die Hamas das Spital als Stützpunkt verwende. Bis heute wurden keine handfesten Beweise gelieftert, dass dies der Fall war11. Nach dem Rückzug der israelischen Armee wurden Massengräber mit mindestens 520 Toten gefunden, einige davon gefesselt, andere ohne Kopf.

Das Al-Shaifa Spital vor und nach der Stürmung der israelischen Armee.

10 - Leugnung

Nach dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Al-Shaifa Spital versuchte diese durch Videoaufnahmen eines intakten Behandlungsraumes den Eindruck zu erwecken, als sei das Al-Schifa-Krankenhaus noch betriebsbereit.12

Israel wurde im Januar 2024 vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen beschuldigt, Völkermord an den Palästinensern zu begehen, beharrte jedoch am Freitag darauf, dass sein Krieg in Gaza eine legitime Verteidigung seines Volkes sei und dass es die Hamas-Milizen seien, die des Völkermords schuldig seien.13

Seitdem kam im Mätz 2024 die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese zum Schluss, dass es berechtigte Gründe gäbe zu der Annahme, dass Israel Völkermord an Palästinensern im Gazastreifen begeht.14

Die zehn Phasen eines Genozids.

Referenzen

  1. Institute for Middle East Understanding. (2021). Fact Sheet: Israeli Surveillance & Restrictions on Palestinian Movement.  2 3

  2. BBC. (2021). Israel committing crimes of apartheid and persecution - HRW. 

  3. Al Jazeera. (2023). Israeli defence minister orders complete siege on Gaza. 

  4. Washington Post. (2023). The punishing military doctrine that Israel may be following in Gaza. 

  5. The Intercept. (2023). Netanyahu’s War on Truth. 

  6. The Jerusalem Post. (2021). Israel must prove it has freedom to defend itself - opinion. 

  7. Amnesty International. (2024). Israel must rescind latest evacuation orders for North Gaza and allow immediate, unhindered humanitarian access.  2

  8. CNN. (2024). Netanyahu considering plan to force all Palestinian civilians out of northern Gaza to besiege Hamas. 

  9. SRF. (2024). «Israel will Gazastreifen für Palästinenser unbewohnbar machen».  2

  10. Care International. (2024). «70% of those killed in Gaza are women and children», CARE warns the UN Security Council. 

  11. The Guardian. (2023). IDF evidence so far falls well short of al-Shifa hospital being Hamas HQ. 

  12. Spiegel Ausland. (2024). Die Schifa-Klinik ist Geschichte. 

  13. PBS. (2024). Israel rejects genocide charges, claims ‘legitimate’ self defense at United Nations’ top court. 

  14. United Nations. (2024). Rights expert finds reasonable grounds genocide is being committed in Gaza.